„Es war dies wirklich eine sehr seltsame Stadt. Man konnte auf einer Straße gehen und, wenn man wollte, den Arm ein wenig ausstrecken, um seine Mütze über die Spitze eines Minaretts zu stülpen.“ So beschreibt der albanische Schriftsteller Ismail Kadare in seinem Erfolgsroman „Chronik in Stein“ seine Heimatstadt Gjirokaster. Mit ihren engen, steilen Gassen und den markanten Steinhäusern, die wie kleine Trutzburgen aussehen, hat Gjirokaster vor 10 Jahren die Aufnahme in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes gefunden, Gemeinsam mit Berat gilt die Stadt als eines der seltenen Beispiele gut erhaltener osmanischer Baukunst am Balkan.
Steile Gassen in Gjirokaster, Foto von Martin Brož via Wikimedia
Gjirokaster, die „Stadt der tausend Stufen“, und Berat, die „Stadt der tausend Fenster“, haben die Kriegs- und Gesellschaftswirren des letzten Jahrhunderts gut überstanden. Der Besetzung durch griechische, italienische und schließlich deutsche Truppen im 2. Weltkrieg folgte die Zeit des albanischen Kommunismus und der fast völligen Isolation des Landes. In vielen Regionen wichen alte Gebäude den neuen Plattenbauten, etliche Kirchen und Moscheen wurden im selbst deklarierten „ersten atheistischen Staat der Welt“ zweckentfremdet oder zerstört. Die Stadtzentren von Berat und Gjirokaster blieben von dieser Entwicklung glücklicherweise verschont. Vielleicht liegt das auch daran, dass Enver Hodscha, der als Diktator von 1944 bis 1985 das Land regierte, selbst aus Gjirokaster stammt. Tatsache ist, dass Berat und Gjirokaster von der damaligen kommunistischen Regierung bereits 1961 zu Museumstädten erklärt wurden, was letztlich für die Erhaltung der historischen Stadtkerne entscheidend war.
Bemerkenswert ist, dass nach den ursprünglichen blutigen Kriegen eine relativ friedliche Koexistenz der hier aufeinandertreffenden islamischen und christlichen Kulturen offenbar gut funktionierte. Christlich-orthodoxe Kirchen und osmanische Moscheen aus dem 18. Jahrhundert zeugen in Gjirokaster ebenso wie eine Reihe gut erhaltener zweistöckiger Bürgerhäuser und dem alten Bazar von einem guten Leben, das man hier im Tal des Drino führen konnte. Markant sind die Dächer der Altstadt, die großteils mit Steinplatten aus dem nahen Gebirge gedeckt sind – eine kostengünstige Alternative zu teuren Ziegeln und gleichzeitig ein wirksamer Schutz gegen die doch großen Temperaturschwankungen zwischen Sommer und Winter. Eine besondere Sehenswürdigkeit sind die Tekken, einst Rückzugsorte von Derwisch-Bruderschaften. Die Tekke von Zall zählt als ehemaliges Zentrum des Sufiordens der Bektaschiten zu den nationalen Kulturdenkmälern des Landes.
Foto oben: Schloss Gjirokaster, Foto von Krzysztof Dudzik via Wikimedia
Foto unten: Altes Bürgerhaus in Gjirokaster, Foto von BohatyVlach via Wikimedia
Die Geschichte der Stadt Berat, die 2008 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wude, reicht bis ins Jahr 2.600 v.Chr. zurück. Aus dieser Zeit datieren die ersten Zeugen frühgeschichtlicher Wohnstätten am Burghügel. Die bis heute sehr gut erhaltenen und gepflegten historischen Stadtteile stammen großteils aus der Zeit nach dem schweren Erdbeben von 1851. Der Stadtteil Mangalem, in dem sich dicht an dicht die Häuser am Burghügel drängen, prägt die Stadt auf eine ganz besondere Weise: die außergewöhnlich großen Fenster der Häuser haben Berat die Bezeichnung „Stadt der tausend Fenster“ eingebracht. Neben Moscheen und Tekken findet man in Mangalem auch die kleine Michaelis-Kirche – just am steilsten Fleck des Burghügels!
Berat, die „Stadt der tausend Fenster“ – Foto Joonas Lytinen via Wikimedia
Besonders authentisch erhalten ist der früher nur über eine Steinbrücke erreichbare Stadtteil Gorica jenseits des Flusses Osum. Hier steht auch das St.-Spyridon-Kloster aus 1864. Das eigentliche Wahrzeichen von Berat ist die Kala, die Burg von Berat, von wo man einen großartigen Ausblick auf die Stadt und das Osum-Tal genießt. Zeit sollte man sich dabei für einen Besuch der verschiedenen Kirchen nehmen, in denen man prächtig geschmückte Ikonen findet.
Blick auf Gorica – Foto von Geri via Wikimedia
Neben den beiden Städten Gjirokaster und Berat mit ihren osmanischen Stadtkernen verfügt Albanien über ein weiteres UNESCO-Weltkulturerbe. Die antike Ruinenstätte Butrint und die am selben Areal liegende bronzezeitliche Höhenfestung Kalivo liegen unweit von Gjirokaster im südlichsten Teil des Landes.